Spazieren gehen ( Tipp im Juni 2021)

Ludwig van Beethoven (1770 -1827) flanierte jeden Tag mehrere Stunden durch die Natur, immer mit Stift und Notenpapier, um unterwegs musikalische Ideen festhalten zu können. Doch schon Hippokrates ( ca. 460 – 370 v. Chr.) wusste, dass das Gehen für den Menschen die beste Medizin ist. Heute haben Forscher den vielfältigen Nutzen des Gehens bestätigt-schon zehn Minuten tägliche bringen etwas.Ohne sportliche Quälerei und Stress für Bewegungsapparat und Kreislauf.

Diese langsame Art der Fortbewegung stärkt nicht nur die Muskeln, das Herz und das Herz-Kreislauf-System, sie arbeitet mit dem Gleichgewichtssinn,  auch der Darm und seine Verdauungsfunktion profitieren davon: schädliche Stoffe werden effektiver ausgeschieden, nützliche besser verwertet.
Für das Gehirn ist Spazierengehen an der frischen Luft das reinste Düngemittel. Es schafft Raum für Gedanken, Ideen und Lösungsmöglichkeiten.

Es kostet nichts, verlangt keine besondere Ausrüstung, und man kann es überall und zu jeder Tageszeit machen. Lediglich der innere Schweinehund könnte ein Hinderungsgrund sein. Sobald man sich jedoch bequeme Schuhe angezogen und die Haustüre hinter sich zugezogen hat, kann man die Schritte Richtung Parks oder stille Straßen richten, über Wiesen oder an Gewässern entlang gehen. Der Gang kann dabei variieren, mal  langsam und sinnend, mal schneller und sportlich, bei der Wahl der Streckeist man frei, ebenso, ob man lieber solo geht oder in Begleitung.

Das viele Sitzen im Beruf und in der Freizeit, das stundenlange Verharren in mehr oder weniger der gleichen Haltung ist sehr gesundheitsschädlich. Man verliert nicht nur an Muskelmasse, sondern in den Beinmuskeln bilden sich  Fettablagerungen, das Tempo der Energieverbrennung wird langsamer und der Blutdruck wird negativ beeinflusst. Prof. Martin Halle von der Technischen Universität München und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung bestätigt: “Wer täglich rund zehn Minuten zügig spazieren geht, reduziert sein Risiko für Herz-Kreislauf- Erkrankungen und Diabetes um 20 Prozent. Schon nach sechs bis acht Wochen ist mit einem deutlich verbesserten Muskelstoffwechsel, einer erhöhten Elastizität der Gefäße und einer verbesserten Herzfunktion zu rechnen.“

Gehen ist eine anspruchsvolle Betätigung, die den Gleichgewichtssinn und die Koordination der Muskeln erfordert. Beides wird im Zusammenspiel mit anderen Körperfunktionen von unserem Gehirn gesteuert. „ Wenn wir erste Schritte machen, geht buchstäblich ein Ruck durch Körper und Gehirn. Unsere grauen Zellen sind dann besonders aktiv, sie kontrollieren unsere Bewegung und verarbeiten die Wahrnehmung dabei. Hirnfrequenzen, die im Sitzen noch unauffällig sind, werden plötzlich rege“, so Dr. Alexander Brümmerhoff, psychiatrischer Oberarzt im DRK Klinikum Westend in Berlin.„Wir fühlen uns dann wacher, atmen schneller und unser ganzer Organismus ist handlungsbereiter.“
Studien belegen, dass regelmäßige, moderate Bewegung Alterungsprozesse in unserer Denkzentrale, vor allem im Hippocampus – der für das Lernen und die Gedächtnisbildung zuständigen Hirnregion- nicht nur verlangsamt, sondern auch umdrehen kann. Walken und Wandern stimulieren nämlich die Produktion des Wachstumsfaktors BDNF( brain derived neurotrophic factor), das wie eine Art Düngemittel im Gehirn wirkt, da es die strukturelle Umbildung und Vernetzung der Nervenzellen fördert. Teilnehmer von Walk-Studien zeigten neben diesem gesteigerten BDNF-Pegel auch eine verbesserte Merkfähigkeit und häufig einen vergrößerten Hippocampus.Der französische Aufklärer Jean-Jacques Rouseau ( 1712-1778) sagte einmal: „Ich kann nur beim Gehen nachdenken. Bleibe ich stehen, tun dies auch meine Gedanken, mein Kopf bewegt sich im Einklang mit den Beinen.“ Dr. Alexander Brümmeling erklärt dazu: „ Beim Gehen breitet sich die Gehirnaktivität über weit auseinander liegende Areale aus. Das führt evtl. dazu, dass verschiedene Denkansätze und Assoziationen zu einem Thema, die normalerweise unter der Bewusstseinsebene verblassen würden, sich neu kombinieren und dadurch unsere Aufmerksamkeit bekommt.“

Manche Studien deuten darauf hin, dass Gehen das Risiko einer Depression senken kann. Regelmäßiges Flanieren in der Natur dämpft die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol; das tut der Stimmung gut und entspannt.

Ein paar Möglichkeiten, um das Spazierengehen abwechslungsreicher zu gestalten
°Die Gangart wechseln: Zwischendrin einfach mal den Rhythmus verändern; eine Weile rückwärts oder seitlich gehen. Sich eine Zeitlang in Hüpfschritten vorwärts bewegen und dabei die Arme locker pendeln lassen. Wie ein Storch im Salat gehen, barfuß gehen und den Untergrund spüren, eine Kreuzbewegung machen, indem man das linke Knie mit dem rechten Ellbogen verbindet und umgekehrt. Diese Bewegung aktiviert beiden Gehirnhälften gleichzeitig und  bringt das Gehirn dazu visuelle, auditive und kinästhetische Fähigkeiten aufeinander abzustimmen. Dadurch werden Fertigkeiten wie Zuhören, Lesen, Schreiben und Erinnern verbessert.
°Die Seele stärken: Das Gehen eignet sich für meditative Übungen wie zum Beispiel auf die Konzentration auf den Atem. ( Siehe Tipps im April 2020,im Oktober 2017,Im September 2015)
°Müll sammeln:
Man tut beim Flanieren auch noch was Gutes; In vielen Städten gibt es inzwischen Initiativen, die in Gruppen sog. Clean-ups organisieren.
°ein kleines Abenteuer erleben: Vor die Haustüre treten und einfach mal losgehen. In ländlichen Gegenden kann es nicht schaden, eine Karte mitzunehmen und etwas Proviant.
° Die Natur mit allen Sinnen erfahren:
– durch Lauschen: Was höre ich, was drängt sich auf und was liegt darunter? Wie geht es mir damit?
Was zieht mich an?
durch Sehen: Welche kleinen Schönheiten zeigen sich erst auf den zweiten Blick? Was habe ich bislang noch nicht wahrgenommen? Wie verändert sich die Landschaft? Was spricht mich in dieser Jahreszeit am meisten an, wohin lenkt mich mein Blick unwiderstehlich?
– durch Tasten und Spüren: Wie fühlt es sich an, barfuß über das Gras zu laufen, über einen Weg mit Steinen, im Wald zu gehen, eine Baumrinde zu streicheln, sich auf eine Wiese hinzulegen, den Schmetterling auf der Hand zu spüren,…? Ist es mir angenehm, wenn der Wind zärtlich über meine Haut streichelt?
– durch Hören: Was höre ich? Wo kommt es her? Welche anderen Töne mischen sich ein? Sind sie mir angenehm oder eher unangenehm? Was würde ich jetzt brauchen? Was höre ich vielleicht zum ersten Mal?